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Welttag des Sehens - Joachim Steinbrück zu Gast im Studio von Radio Bremen Zwei

Zum "Welttag des Sehens" am 12. Oktober 2017 war der Landesbehindertenbeauftragte, Dr. Joachim Steinbrück zu Gast bei "Der Morgen" auf Bremen Zwei. Mit dem Moderator Tom Grote hat der Beauftragte unter anderem über seine Erblindung mit 15 Jahren, Herausforderungen im Alltag sowie Hilfsbereitschaft von Mitmenschen gesprochen.

Die Woche des Sehens 2017 fand vom 8. bis 15. Oktober statt und schloss die internationalen Aktionstage "Welttag des Sehens" sowie den "Tag des weißen Stocks" mit ein.

Auf dem Bild ist das Bremen Zwei Logo zu sehen.
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Neben dem Interview hat die Bremen-Zwei-Reporterin Claudia Scholz einmal getestet, wie es sich anfühlt, blind zu sein.

RB: Ja, die Welt ist schön. Ja morgens auch schon und wie schön sie ist, einfach Sinne auf und schon kann man die Welt, riechen, schmecken, hören und sehen. Vorausgesetzt man kann das alles.
Was aber, wenn man es nicht kann? Zum Beispiel nicht sehen.
Genau darauf will der Tag heute hinweisen, denn heute ist Welttag des Sehens und wie es ist, als blinder Mensch in einer sehenden Welt zu leben, darüber wollen wir sprechen mit Joachim Steinbrück. Er ist selber blind und Bremens Landesbehindertenbeauftragter.
Guten Morgen Herr Steinbrück.

JS: Guten Morgen Herr Grote.

RB: Sie sind mit 15 erblindet, wie sehr fehlt ihnen das Sehen heute?

JS: Ich sage ganz oft manchmal ist es unpraktisch blind zu sein, weil manche Sachen einfach nicht so einfach funktionieren. Schnell mal eine Zwiebel schneiden, schnell mal von A nach B zu kommen mit dem Fahrrad oder Auto ist Mehraufwand in der Alltagsorganisation.
Manchmal fehlt mir das Sehen auch, wenn ich weiß, da ist eine schöne Aussicht oder ein schöner Blick. Aber es gibt natürlich inzwischen auch einfach die Seite in meinem Leben, wo ich sozusagen nicht auf das halbleere Glas gucke, sondern auf das halbvolle und mich dafür entschieden habe, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die dennoch da sind und die dennoch möglich sind zu tun.

RB: Wenn sie schon das halbleere und halbvolle Glas zitieren: Eine Freundin von mir ist mit Mitte zwanzig erblindet und hat mal zu mir gesagt, die Angst vor dem Blindwerden, die war schlimmer als das Blindwerden selber. Wie haben sie das erlebt?

JS: Genauso. Für mich war das fast wie eine Befreiung, weil über meine ganze Kindheit dieses Damoklesschwert hing. Du kannst blind werden. Mir wurde mit fünf Jahren schon gesagt: Pass auf, dass du nicht blind wirst. Ich wusste nicht, wie ich darauf aufpassen sollte und als es dann endlich passiert ist, habe ich gemerkt, es geht weiter, es ist gar nicht so eine große Katastrophe, wie ich mir vorgestellt hatte.

RB: Und wie haben sie dann gelernt sich auf ein Leben ohne Sehen einzustellen?

JS: Ich hatte so ein bisschen Glück in dem Fall, dass ich schon als sehbehindertes Kind mit zwölf Jahren in eine Schule für Blinde und Sehbehinderte gekommen bin, dort blinde junge Menschen erlebt habe, die Fußball gespielt haben, die rumgelaufen sind, die sich gebalgt haben als Jungs. Und das hat mir ungemein geholfen, mich darauf vorzubereiten, selbst blind zu werden.
Weil ich habe dann einfach mitgemacht.

RB: Was vermissen sie am meisten, was würden sie am liebsten noch mal sehen?

JS: Ich würde am liebsten einfach Menschen sehen. Also Männer wie Frauen, wie sie sich heute kleiden. Mode hat sich verändert, Aussehen hat sich verändert. Ich habe mich als pubertierenden Jungen zuletzt gesehen. Wie sehe ich heute aus, visuell? Also das wäre mir glaube ich am wichtigsten und ich glaube, Pflanzen, Landschaft, Natur.

RB: Wir hatten heute Morgen hier schon eine Reportage von der sehenden Kollegin, die für kurze Zeit mal versucht hat, sich mit verbundenen Augen in der Stadt zu orientieren. Wie ist denn das für Sie? Was ist da am schwierigsten in einer Stadt voller Stimmen und Lärm?

JS: Also ich finde tatsächlich am schwierigsten Lärm. Auf meinem Arbeitsweg begegnen mir oft Müllwagen, Baufahrzeuge, rückwärtsfahrende LKWs, die hier im Bremer Viertel gerade irgendwie im Bereich der Haltestelle versuchen einzuparken. Das ist manchmal beängstigend und manchmal auch einfach so laut, dass ich dann die Straßenbahn nicht höre, die gerade einfährt und ich habe sie auch schon mal verpasst deswegen. Das ist glaube ich so das, was ich als größtes Problem empfinde, weil das auch Stress macht. Das macht nervös, das verunsichert. Die Situation könne nicht mehr so gut eingeschätzt werden, das ist einfach ein Problem.

RB: Was machen sie denn dann, wenn der Lärm zu groß wird?

JS: Naja wenn der Lärm zu groß wird, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, mich rein mechanisch mit meinem Stock weiter zu orientieren, voranzutasten und ich hab dann auch schon Situationen erlebt, wo ich dann einfach versucht habe, Passanten anzusprechen. Fährt der LKW jetzt gerade auf mich? Weil man hört ja dann ein Piepen, der fährt rückwärts und wenn dann dieses Geräusch immer näher kommt, dann wird einem schon mulmig.

RB: Das ist jetzt die eine Variante, dass sie Passanten ansprechen. Die andere ist, viele Menschen sehen sie vielleicht und fühlen sich dann hilflos im Umgang mit Blinden. Wie macht man es richtig?

JS: Ich glaube einfach mit der Frage „Kann ich ihnen helfen?“ oder „Brauchen sie Hilfe?“
Und wichtig ist dann auch zu akzeptieren, wenn ein Nein kommt, dass das so kommt.
Weil ich erlebe oft, dass Menschen gar nicht richtig einschätzen können, was für mich gefährlich ist und was vielleicht auch gar nicht gefährlich ist. Also zum Beispiel, wenn ich auf einen Ampelpfahl zugehe, um genau zu wissen, wo ich die Straße überqueren kann und mich zieht jemand von diesem Pfahl weg, weil er meint, wenn ich ihn mit dem Stock berühre ist das schon ein Problem, dann hat er meine Wirklichkeit völlig falsch eingeschätzt.

RB: Das heißt Sie werden dauernd unterschätzt?

JS: Ja, auch falsch eingeschätzt, so dass ich einfach angesprochen werde im Moment, wo ich mich gerade akustisch darauf orientiere. Kann ich jetzt über die Straße gehen? Kommt eine Bahn? Kommt an Bus? Oder kommt da noch was und dann werde ich ins Gespräch verwickelt. „Ja wo wollen sie denn hin?“, so dann muss ich das erstmal irgendwie abwehren und dann bin ich aus meiner Konzentration herausgerissen. Andererseits gibt es Situationen, wo ich Hilfe brauche und da ist es natürlich sehr hilfreich, wenn jemand einfach auch fragt „Brauchen sie Hilfe, kann ich ihnen helfen?“ und dann habe ich selber die Möglichkeit, ja oder nein zu sagen.

RB: Heute nun ist der Welttag des Sehens. Dazu auf Bremen 2 Joachim Steinbrück, er selber ist blind und Bremens Landesbehindertenbeauftragter. Ich danke ihnen sehr für‘s Kommen.

JS: Ja danke. Ihnen einen schönen Tag noch.