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60. Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen

Verabschiedung der "Mainzer Erklärung"

Alle Inhalte im Fernsehen laufen mit Untertiteln, Nachrichtensendungen werden in Gebärdensprache und in Leichter Sprache angeboten, die sozialen Medien bieten inklusive und barrierefrei Inhalte: Diese Vision einer inklusiven und barrierefreien Medienwirklichkeit war Schwerpunktthema der Konferenz 60. Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen, die Ende November 2020 stattfand. Aus Bremen hat neben dem Landesbehindertenbeauftragten Arne Frankenstein, seinem Stellvertreter Kai J. Steuck auch der ehemalige Beauftragte Joachim Steinbrück teilgenommen.

Welche derzeit bestehenden Defizite in der Barrierefreiheit überwunden und wie Vorhaben zur Gestaltung inklusiver Medien ohne Zugangsbarrieren für Menschen mit Behinderungen initiiert und gefördert werden können, wurde gemeinsam besprochen. Zwei Tage diskutierten die Beauftragten unter anderem mit Vertreter*innen von ZDF, Apple und Menschenrechtsorganisationen Themen wie den Medienstaatsvertrag und Inklusion bei neuen Medienformaten.

Die "Mainzer Erklärung" fordert besseren Zugang zu und stärkere Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an und in Medien:
In einem 10-Punkte-Programm für barrierefreie und inklusive Medien fordern die Behindertenbeauftragten unter anderem bei der vorgesehenen Änderung des Medienstaatsvertrags Aktionspläne mit verbindlichen Zielen und Fristen für die Umsetzung barrierefreier Angebote der privaten und öffentlichen Rundfunkanstalten sowie der Telemediendienste unter Beteiligung der Verbände der Menschen mit Behinderungen festzulegen und den Beteiligungsprozess für den Medienstaatsvertrag transparent, auf Augenhöhe und barrierefrei zu gestalten und die Beiräte und Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern aktiv einzubeziehen. Weitere Forderungen sind die Vertretung der Organisationen der Menschen mit Behinderungen durchgehend in allen Rundfunkräten und Gremien der Landesmedienanstalten zu sichern und die zeitnahe Umsetzung des Europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act) zu fördern.

Mainzer Erklärung

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Vision 2025

Der 26. James Bond aus dem Jahr 2025 ist auch ohne spektakuläre Bilder ausgezeichnet. Die hervorragende Hörfassung erhält den Oscar für die beste Audiodeskription. In den linearen und nichtlinearen Fernsehangeboten werden im gleichen Jahr 100 Prozent Untertitelung erreicht - das Angebot ist qualitativ hochwertig. Auch viele Menschen ohne Hörbehinderungen nutzen diesen praktischen Service. Informationssendungen sind selbstverständlich in Gebärdensprache und Leichter Sprache verfügbar; eine positive Entwicklung nach der überwundenen Corona-Krise, in der gehörlose Menschen und Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre Rechte auf gleichberechtigte Informationsvermittlung verstärkt eingefordert hatten.

Nach einer breit angelegten Kampagne für Vielfalt eines umfassenden Bündnisses von Menschenrechts-Organisationen in den sozialen Medien gehören inklusive und barrierefreie Inhalte zum allgemein geachteten Standard der Netz-Etikette. Die mittlerweile demokratisch legitimierten Algorithmen beeinflussen und manipulieren nicht mehr, sondern schützen Menschen mit Behinderungen und alle anderen vor Diskriminierungen. Respekt und Vielfalt sind bevorzugte Themen geteilter Inhalte.

Wege zu einer inklusiven und barrierefreien Medienwelt

Wie diese Vision einer inklusiven und barrierefreien Medienwirklichkeit erreicht werden kann, war Schwerpunktthema der 60. Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen. Welche derzeit bestehenden Defizite in der Barrierefreiheit überwunden und wie Vorhaben zur Gestaltung inklusiver Medien ohne Zugangsbarrieren für Menschen mit Behinderungen initiiert und gefördert werden können, wurde gemeinsam besprochen. Die Konferenz wurde von Rheinland-Pfalz organisiert und fand erstmalig im Online-Format statt.

Vor über 500 Jahren startete mit dem modernen Buchdruck durch Gutenberg in Mainz eine Medienrevolution. Der Wandel zu einer digitalen Medienwelt wird häufig mit der Innovation Gutenbergs verglichen. Menschen mit Behinderungen profitieren oft von den digitalen Neuerungen. Gleichzeitig entstehen aber neue digitale Barrieren, die den Zugang zu Informationen und Teilhabe verhindern. Digitalisierung kann also eine große Chance für Menschen mit Behinderungen sein - oder aber ein weiteres Ausschlusskriterium.

Mit der Mainzer Erklärung der 60. Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen soll ein starkes Signal für Inklusion und Barrierefreiheit in den Medien gesetzt werden: Ein Signal für die Umsetzung unserer Vision 2025.

Auftrag aus der UN-Behindertenrechtskonvention

Die seit dem Jahr 2009 für Deutschland gültige UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zeigt unseren gemeinsamen Auftrag für Inklusion und Barrierefreiheit in den Medien. Zu unseren Verpflichtungen nach der UN-Konvention gehören:

  • die Aufforderung an alle Medienorgane, über Menschen mit Behinderungen vorurteilsfrei und ohne Diskriminierungen zu berichten (Artikel 8 UN-BRK Bewusstseinsbildung),
  • den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu Internet, Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen zu fördern (Artikel 9 UN-BRK - Barrierefreiheit),
  • für Menschen mit Behinderungen die Meinungsfreiheit und das Recht auf gleichberechtigte Beschaffung von Informationen zu gewährleisten,
  • Massenmedien, einschließlich der Anbieter von Informationen über das Internet, für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich zu gestalten
  • dazu gehören auch die privaten Anbieter (Artikel 21 UN-BRK - Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen),
  • den Zugang zu kulturellem Inhalten und zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in barrierefreien Formaten sicherzustellen,
  • Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft (Artikel 30 UN-BRK - Partizipation am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport).

Unser 10-Punkte-Programm für barrierefreie und inklusive Medien

Als Maßnahmen zur Umsetzung unserer Verpflichtungen nach der UN-Behindertenrechtskonvention und zur Erreichung unserer Vision 2025 fordern die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern:

  1. Bei der vorgesehenen Änderung des Medienstaatsvertrags Aktionspläne mit verbindlichen Zielen und Fristen für die Umsetzung barrierefreier Angebote der privaten und öffentlichen Rundfunkanstalten sowie der Telemediendienste unter Beteiligung der Verbände der Menschen mit Behinderungen festzulegen,
  2. den Beteiligungsprozess für den Medienstaatsvertrag transparent, auf Augenhöhe und barrierefrei zu gestalten und die Beiräte und Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern aktiv einzubeziehen,
  3. die Vertretung der Organisationen der Menschen mit Behinderungen durchgehend in allen Rundfunkräten und Gremien der Landesmedienanstalten zu sichern,
  4. die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag der Menschen mit Behinderungen, die bis zum Jahr 2013 davon befreit waren, voll für barrierefreie Rundfunkangebote zu investieren,
  5. barrierefreie Notfallinformationen, besonders zur Corona-Krise, unverzüglich, vollständig und durchgängig in einer guten Qualität bereitzustellen. Untertitelungen und Übersetzungen in Gebärdensprache und in Leichte Sprache sollen bei allen grundsätzlichen und aktuellen Informationen ohne zeitlichen Verzug verfügbar sein. In den Nachrichtensendungen und Pressekonferenzen sind Direkteinblendungen von Gebärdensprachdolmetscherinnen und –dolmetschern vorzusehen. Das gilt für lineare und nichtlineare Angebote,
  6. eine entschlossene und zeitnahe Umsetzung des Europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act - RL EU 2019/882) zu fördern, damit alle Menschen den gleichen Zugang zu öffentlichen und privaten Gütern und Dienstleistungen haben. In der nationalen Gesetzgebung müssen die Möglichkeiten für eine umfassende und erweiterte Ausgestaltung der Verpflichtungen zur Barrierefreiheit genutzt werden, zum Beispiel für bauliche Barrierefreiheit. In einem entsprechenden Barrierefreiheits-Gesetz in Deutschland sind wirksame Sanktionsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen festzulegen,
  7. Algorithmen diskriminierungsfrei zu gestalten und Datenschutz einzuhalten. Die Empfehlungen der Datenethikkommission der Bundesregierung sollten konsequent umgesetzt, sowie auf bundes- und europapolitischer Ebene auf einen verbesserten Schutz vulnerabler Gruppen hingewirkt werden. Die EU-Anti-Diskriminierungs-Richtlinien sind auf Dienste der Anbieter von sozialen Medien zu erweitern.
  8. Kulturstätten und Veranstaltungsorte sowohl für Zuschauerinnen und Zuschauer als auch für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderungen barrierefrei und umfassend zugänglich und nutzbar zu gestalten, auch deren Internetseiten und Kontaktdaten. Öffentliche Förderungen sind von der Umsetzung dieses Ziels abhängig zu machen,
  9. Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt und als gleichberechtigte Akteurinnen und Akteure in den Medien abzubilden. Darauf ist bei Studium und Ausbildung im Medien- und Kulturbereich zu achten. Der Zugang für Menschen mit Behinderungen zu den Ausbildungen und Studiengängen soll verbessert werden.
  10. Kulturschaffende und Künstlerinnen und Künstler mit Behinderungen zu fördern. Bei Stipendien im Kulturbereich ist eine Quote für Menschen mit Behinderungen vorzusehen, bei Preisen und Auszeichnungen sollen Künstlerinnen und Künstler mit Behinderungen stärker berücksichtigt werden.

Mainz, 27. November 2020