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Stellungnahme zum aktuellen Umgang mit der Coronavirus-Pandemie

Bremen, den 22. Januar 2021

Für behinderte Menschen ist die Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung. Das ist in vergangenen Monaten vielen Menschen deutlich geworden. Der Landesbehindertenbeauftragte beschreibt die Situation und stellt konkrete Forderungen. Er wendet sich an alle Verantwortlichen in der Politik und der Verwaltung. Ebenso wendet er sich an alle Menschen in Bremen und Bremerhaven.

Ein Beispiel ist die Verordnung zur Corona-Pandemie von Mitte Januar. Hier hat sich Bremens Landesbehindertenbeauftragter eingesetzt und Veränderungen erreicht. Die Verordnung schreibt vor, wie viele Menschen sich treffen dürfen. Der Beauftragte hat erreicht, dass Begleitpersonen hierbei nicht mitgezählt werden. Dazu zählen zum Beispiel Pflegekräfte oder Assistenzkräfte. Dadurch wird die Situation von behinderten Menschen verbessert.

Viele Menschen arbeiten die ganze Zeit an guten Lösungen. Aber noch immer fehlt ein Plan, eine übergeordnete Strategie. Sie muss sicherstellen, dass behinderte Menschen während der Pandemie selbstbestimmt teilhaben können. Im folgenden Text nennt der Beauftragte wichtige Themen und Probleme. Praktische Lösungen sind schnell nötig.

Impfstrategie gegen das Corona-Virus

Die Impfverordnung gibt vor, wer zuerst geimpft werden kann. Sie hat die Menschen dafür in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen sollen nicht als erste geimpft werden. Dabei haben auch sie ein hohes Risiko, an Corona zu erkranken. Die Krankheit kann bei ihnen schwer oder sogar tödlich verlaufen. Festgelegt hat diese Reihenfolge das Bundesministerium für Gesundheit. Die Ständige Impfkommission weist seit dem 14.01.2021 auf einen wichtigen Punkt hin. Es muss Entscheidungen im Einzelfall geben.

Der Landesbehindertenbeauftragte fordert, dass genau diese Einzelentscheidungen ermöglicht werden. Dafür muss die Impfverordnung eine so genannte Öffnungsklausel erhalten. Sie verdeutlicht die Möglichkeit der Einzelentscheidung.

Die Lebenswelten von behinderten Menschen müssen berücksichtigt werden. Sie leben nicht ausschließlich in Einrichtungen, sondern oft in ihrem eigenen Zuhause. Dort benötigen sie häufig Pflege oder Assistenz. Sie können sich deswegen nicht immer an die Abstandsregeln halten. Daher sollten diese behinderten Menschen früher geimpft werden als die Allgemeinheit.

Pflegekräfte befinden sich in der ersten Impfgruppe. Ihnen wird gerade schon eine Impfung angeboten. Das ist gut. Allerdings betrifft dies bisher nur Pflegekräfte in Einrichtungen oder bei Pflegediensten. Wer in einem Haushalt als Assistenzkraft angestellt ist, wird nicht frühzeitig geimpft. Dabei sind auch hier oft enge körperliche Kontakte nötig. Abstände können nicht eingehalten werden. Auch diese Assistenzkräfte sollten frühzeitig geimpft werden können, fordert der Beauftragte.

Barrieren in Impfzentren in Bremen und Bremerhaven

Das Impfzentrum in der Bremer Messehalle ist weitgehend barrierefrei. Schwieriger ist es, wenn jemand einen Impftermin vereinbaren möchte. Hier macht der Landesbehindertenbeauftragte konkrete Vorschläge:

  • Es sollte immer auf zwei verschiedenen Wegen mit den Menschen kommuniziert werden. Zwei Sinne sollten dabei angesprochen werden. Die Information muss lesbar und hörbar sein.
  • Vor einem Impftermin sollte geklärt werden, ob jemand Unterstützung benötigt.
  • Informationen zum Impfen sollten auch in Leichter Sprache geschrieben werden. Das gilt auch für den Ablauf des Impfverfahrens.
  • Diese Informationen sollten auch in Gebärdensprache vorhanden sein.
  • Alle Informationen in Leichter Sprache und Gebärdensprache sollten auch im Internet zu finden sein. Auf jeden Fall auf der Internetseite: www.impfzentrum.bremen.de/. Diese Internetseite muss barrierefrei gestaltet werden.

Forderungen für selbstbestimmtes Leben in der Pandemie

Behinderte Menschen müssen auch während der Pandemie selbstbestimmt leben können. Um dies möglich zu machen, schlägt der Beauftragte folgende Punkte vor:

  • Schutzmasken: Kostenlose FFP2-Masken müssen mehr behinderten Menschen zur Verfügung gestellt werden. Der Landesbehindertenbeauftragte möchte dies für Menschen unter 60 Jahren mit einer Vorerkrankung. Sie haben in der Regel ein erhöhtes Risiko.
  • Corona-Schnelltests: In Einrichtungen der Eingliederungshilfe sollten mehr Schnelltests eingeführt werden. Sie sollen vor allem bei den Fachkräften durchgeführt werden. Dies betrifft zum Beispiel Arbeits- und Wohnangebote für behinderte Menschen.
  • Mund-Nasen-Schutz: Alle Menschen sollten einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn dies gesundheitlich möglich ist. Manche Menschen können aber keine Masken tragen. Wer keine Maske tragen kann, steht täglich in der Öffentlichkeit unter Druck. Möglicherweise werden die Regeln noch verschärft. Dann wächst der Druck auf Menschen, die keine Maske tragen können weiter. Dies muss verhindert werden. Es muss neue Regeln geben. Wie können Menschen belegen, dass sie keine Maske tragen können? Diese Frage muss geklärt werden. Das ärztliche Attest alleine wird nicht akzeptiert. Viele Geschäfte verbieten Menschen trotz Attest den Zutritt. Für die Geschäfte hat dies keine Folgen. Generell ist es wichtig, die bestehenden Regeln durchzusetzen. So sollten Menschen, die grundlos das Tragen von Masken verweigern, bestraft werden.
  • Selbsthilfe: Für viele Menschen führen die geltenden Einschränkungen zu seelischen Belastungen. Wichtige Hilfe bietet dann die Selbsthilfe. Der Beauftragte begrüßt, dass sich Selbsthilfegruppen weiterhin treffen dürfen. Selbstverständlich werden dort Abstand und Hygieneregeln eingehalten. Diese Gruppen müssen sich auch weiterhin treffen können!
  • Triage: Wenn zu viele Menschen krank werden, kann dies zu medizinischen Engpässen führen. Folgende Fragen sind dem Landesbehindertenbeauftragten sehr wichtig. Über sie sollten alle Menschen stärker diskutieren. Diese Fragen sind die Grundlage der sogenannten Triage. Sie entscheiden am Ende über Leben und Tod:
    • Wer wird dann im Notfall behandelt?
    • Wer kann notwendige Geräte erhalten – und wer nicht?
    • Wer entscheidet darüber, wer im Zweifel leben darf und wer nicht?
    • Was ist die Grundlage für diese Entscheidung?

    Denn diese Fragen können für behinderte Menschen zur Gefahr werden. Das Land Bremen sollte den Gesetzgeber im Bundesrat zum Handeln auffordern. Behinderte Menschen dürfen hier nicht benachteiligt werden. Sonst verletzt man ihre Menschenwürde.

Behinderte Schülerinnen und Schüler

Während der Pandemie hat sich der Schulunterricht verändert. Unterricht findet teilweise online und zuhause statt. Das kann zu Nachteilen führen. Behinderte Schülerinnen und Schüler haben weiterhin das Recht zur Schule zu gehen. Trotz der Pandemie steht ihnen dies zu, wenn sie Unterstützung brauchen. Das geht leider nicht für alle. Deshalb wirbt das Team des Beauftragten für Lösungen in jedem Einzelfall. Auch für das Lernen zuhause muss es Lösungen geben. Einigen Schülerinnen und Schülern ist der Unterricht nur von zuhause aus möglich. Denn sie gehören einer Risikogruppe an. Für sie muss es auch dort Unterstützung geben. Dabei darf keine Rolle spielen, nach welchem Gesetz die Unterstützung bezahlt wird.

Alle Schülerinnen und Schüler lernen gerade mit dem ipad. Alle Inhalte und Programme müssen uneingeschränkt barrierefrei zugänglich und nutzbar sein.

Besonders betrachtet werden müssen Familien. Das betrifft Eltern mit behinderten Kindern ebenso wie Kinder mit behinderten Eltern. Zu beachten ist, ob jemand in der Familie besonders gefährdet ist. Denn die Pandemie stellt Familien mit behinderten Angehörigen häufig vor große Herausforderungen. Es braucht eine Ansprechstelle, an die sich überforderte Familien wenden können.

Ausblick: Nur eine inklusive Gesellschaft ist eine krisenfestere Gesellschaft

Durch die Pandemie sind viele Menschen allein, viele auch einsam. Welche Folgen dies haben wird, kann jetzt noch niemand sagen. Klar ist aber bereits heute, dass sich unsere Gesellschaft weiter verändern muss. Sie muss inklusiv werden. Sie muss sich dabei an den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren. Nur in einer inklusiven Gesellschaft können Krisen gerecht bewältigt werden.
Das gilt zum Beispiel für den Bereich Wohnen. Für große Wohneinrichtungen bestehen aktuell besondere Probleme und besonders strenge Regeln. Diese Probleme müssen in Zukunft verhindert werden. Dafür müssen behinderte Menschen dann in ihren eigenen Wohnungen leben können. Diese Wohnungen müssen in allen Quartieren der Stadt sein. Es muss auch Wohnangebote für Menschen geben, die viel Hilfe benötigen. Nur dann können alle entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen. Das ist gleichberechtigte Teilhabe! Das gilt auch für den Bereich Arbeit. Behinderte Menschen in den Werkstätten und Tagesförderstätten sind sozial schlechter gestellt. Das kann nicht so bleiben. Der Landesbehindertenbeauftragte wünscht sich hierzu eine breite Diskussion. An ihr sollen allen voran die Werkstattbeschäftigten teilhaben.

Ich freue mich, wenn Sie zu mir oder meinem Team Kontakt aufnehmen.
Das können Sie per E-Mail: office@lbb.bremen.de
Das können Sie per Telefon: 0421 361 18181
Arne Frankenstein
Der Landesbehindertenbeauftragte

Dieser Text ist in Verso geschrieben. Verso ist die leichte Sprache für alle.