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Portrait der Behindertenrechtsaktivistin Sabine Bütow

Portrait Sabine Bütow
Foto: Sabine Bütow

Es gibt Einladungen, die ich sehr gerne annehme. Einen Beitrag in der Rubrik "Behindertenrechtsaktivist*in" zu schreiben, ist für mich eine große Anerkennung, der ich mit Freude nachkomme. Ich bin Sabine Bütow, 64 Jahre alt und seit 2004 die Geschäftsführerin im Netzwerk Selbsthilfe e.V. Bremen-Nordniedersachsen e.V..

Schon während meines Studiums - Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Gesundheit - in Flensburg habe ich im Suchtbereich in enger Zusammenarbeit mit Beratungsstellen Selbsthilfe kennengelernt. Mich bewegte die Frage, wie kann man als Betroffener oder auch als Angehörige neue Wege finden und das Lebensmanuskript umschreiben - also den Wechsel wagen. Aber auch die Prävention von jungen Menschen war mir ein großes Anliegen. Hier neue Konzepte zu entwickeln weg vom Zeigefinger hinzu mehr Selbstbestimmung und –bewusstsein. Mein Berufseinstieg war deshalb in Bremerhaven in einer Anonymen Beratungsstelle für Junge Menschen. Bewegende und tragische Lebensgeschichten suchten nach Lösungen. Ich habe gelernt, mit wem muss ich sprechen und wo bekomme ich Unterstützung. Ob Streetwork, Therapieplätze, Fremdunterbringung etc. - ohne ein Netz bin ich in meiner Arbeit aufgeschmissen. Beim Partätischen Wohlfahrtverband in Bremerhaven habe ich genau daran weiter gewirkt. Die Gründung eines Selbsthilfezusammenschlusses und die politische Auseinandersetzung für die Anerkennung und Förderung des Bremerhavener Topfs war eine echte Herausforderung, die nur in der Gemeinschaft möglich wurde. Die Zusammenarbeit mit dem Bremer Topf war in dieser Zeit Inspiration und ein echter Gewinn. Mit dem Maßnahmeabschluss endete zu meinem Bedauern meine Beschäftigung ohne eine Möglichkeit der Weiterführung. In Bremen konnte ich ab 1995 meine berufliche Karriere nahtlos beim Netzwerk Selbsthilfe fortsetzen. Auch hier galt es das Netz von Einrichtungen und Selbsthilfeakteuren, von sozial Benachteiligten und chronisch Erkrankten, von Menschen mit Einschränkungen und in der Isolation Lebenden stärker zu knüpfen. Gemeinschaft zu erleben und auf strukturelle Grenzen in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Grenzen sind nicht unüberbrückbar, sie müssen hinterfragt werden und es lohnt sich gemeinsam für ihre Verschiebung oder gar ihre Auflösung zu streiten.

Welche Brückengibt es zwischen dem Netzwerk Selbsthilfe und dem Landesbehindertenbeauftragten. Natürlich ist hier vor allem die gesellschaftspolitische Rolle in und für Bremen zu nennen. Beide Institutionen setzen sich für die Verbesserung des Umgangs unter- und miteinander innerhalb der Gesellschaft ein und sind damit wichtige Mosaiksteine für das Allgemeinwohl. Dass wir dabei oft Seite an Seite unterwegs sind, hat für die Durchsetzung der gemeinsamen Interessen schon oftmals Entscheidungsfindungen Dritter maßgeblich unterstützt.

Auf den Menschen bezogen bieten wir aus unterschiedlichen Richtungen Unterstützung und Hilfeleistung an, um die individuelle Beeinträchtigung im Alltag zu integrieren und möglichst barrierefrei zu schultern. Überschneidungen gibt es aber trotzdem, beispielsweise im Bereich Suchtselbsthilfe und geistige Behinderung. Wir beschäftigen uns bereits seit 2015 mit der Thematik. In dieser Zeit wurden im Rahmen eines geförderten Pilotprojekts, gemeinsam mit dem Gesundheitsamt, erfolgreich zwei konstante Suchtselbsthilfeangebote für die Zielgruppe geschaffen und viel Aufklärungsarbeit innerhalb der Stadt geleistet. Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung und Suchterkrankung haben einen Anspruch auf Integration in das bestehende Suchthilfesystem. Unsere Arbeit zeigt auf, wie dies gelingen kann und ist somit ein Beitrag zur Inklusion. Mit diesem Projekt haben wir bundesweit neue Wege beschritten.

Wir beteiligen uns auch schon immer und auch aktuell an der Fortschreibung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Land Bremen. Dazu haben wir auch im aktuellen Verfahren mehrere Maßnahmevorschläge eingereicht. Damit wollen wir unseren Beitrag zur Inklusion im Bereich Selbsthilfe verdeutlichen. Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung können an jeder körperlichen oder psychischen Krankheit oder jeder Sucht leiden. In der Praxis gelingt es bislang jedoch nur vereinzelt, Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung in bestehende Selbsthilfegruppen zu integrieren. Diese Lücke gilt es zu schließen. Auch Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sollte die gesundheitliche Selbsthilfe als wichtiger Teil des deutschen Gesundheitssystems offenstehen. Aus unserer Sicht ist eine wichtige Maßnahme die Initiierung und die Förderung von Selbsthilfegruppen speziell für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Neben dem Thema Selbsthilfe fiel Handlungsbedarf im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung auf. Die oft genutzte Kombination aus Selbsthilfe und ambulanter Therapie steht den Teilnehmer*innen der Selbsthilfe-Treffs nicht so leicht offen wie Teilnehmer*innen anderer Gruppen. Es fand ein Austausch mit Psychotherapeut*innen statt. Zu diesem Thema wurde auch ein Maßnahmenvorschlag durch das Netzwerk Selbsthilfe in dieses Gremium eingereicht.

Zu guter Letzt: Im Netzwerk steht im kommenden Jahr ein Wechsel in der Geschäftsführung an. Persönlich bin ich dankbar für mein Berufsleben, die vielen Begegnungen und die Möglichkeit einen kleinen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen/leisten zu können. Gerade jetzt müssen wir Wege des aufeinander Zugehens neu finden und es wagen Grenzen weiter aufzulösen. Ich freue mich mit dem Eintritt in meinen (Un-) Ruhestand auf die nächste Lebensphase, die mit Sicherheit sowohl spannend als auch unberechenbar werden wird – damit dem Berufsalltag ähneln und trotzdem doch ganz anders sein wird. Die seit langem gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Landesbehindertenbeauftragten und dem Netzwerk Selbsthilfe wird zu 100 % fortgesetzt werden – versprochen!